Die "Großen Herzöge" aus dem Haus Valois
Der Gegensatz der beiden Parteien verschwand aber nicht, besonders
nach Philipps Tod 1404 versuchte Ludwig seinen nun bedeutend größeren
Einfluß beim König gegen Burgund einzusetzen, dessen Herzog mittlerweile
Johann ohne Furcht war. Alsbald geriet Frankreich immer mehr an den Rand
eines inneren Krieges, dem die Engländer zwar erst noch still, aber
sicherlich mit nicht geringer Freude zusahen. Johann weigerte sich
so auch, den König im Kampf gegen England zu unterstützen, er
zog sogar mit 5000 Bewaffneten in Paris ein, um seine Weigerung
zu bekräftigen.
1407, anscheinend der ewigen gegen ihn gerichteten Aktivitäten
überdrüssig, ließ er Ludwig von Orleans ermorden. Damit konnte
der beginnende innerfranzösische Krieg aber nicht aufgehalten
werden, im Gegenteil wurde der Konflikt zwischen den Anhängern
des Hauses Orleans (später nach ihren Hauptprotagonisten Armagnacs
genannt) und Burgund immer härter.
Die Engländer konnten während dieser Wirren die Normandie erobern,
Johann herrschte über den restlichen Norden Frankreichs und Paris,
hatte somit auch den König in seiner Gewalt.
Widerstand gegen Burgund und England kam vor allem aus dem Zentrum und
dem Südwesten. 1415, bei der Schlacht von Azincourt, stellte sich Johann
das erste Mal offiziell an die Seite der Engländer. Diese
Schlacht endete mit einer vernichtenden Niederlage für die
Gegenpartei, der Führer des Hauses Orleans wurde gefangengenommen,
und nun durch seinen Schwiegervater Bernhard von Armagnac vertreten.
Burgund gegen Armagnac, diese langandauernde Fehde zeichnete sich
durch besondere Grausamkeit aus, für die vor allem die Armagnacs
geradezu sprichwörtlich wurden. Aber auch Johann war nicht
zimperlich, wie er bei einem Massaker an der Pariser Bevölkerung
bewies. So rieben sich die Franzosen gegenseitig auf, sehr zur Freude
der Engländer, die sich so immer weiter in Frankreich festsetzen konnten.
1419 fiel Johann von Burgund wie Ludwig von Orleans einem Mordanschlag zum Opfer, sein
Sohn Philipp der Gute stellte sich aus Rache ganz auf die Seite der
Engländer.
1420 hatten die Engländer beinahe vollkommen gesiegt, in einem Friedensabschluß
fiel das ganze Land an sie. Karl VI. verlor seinen Thron, der englische
König heiratete dessen Tochter und nahm selbst den Titel eines
französischen Königs an, und es schien auf eine Vereinigung der
beiden Königreiche hinauszulaufen.
Südlich der Loire existierte aber noch das sogenannte
Königreich von Bourges, das treu zu dem Dauphin
hielt. Burgund schloß mit England 1423 einen formalen
Friedensvertrag, was die Stellung des englischen Königs
in Frankreich erst einmal festigte. 1429 verursachte
aber das Erscheinen der Jeanne d'Arc eine neuerliche
Wende. Ihr Beispiel und die Krönung des Dauphins
zu Karl VII. in der Kathedrale von Reims lösten
anscheinend so etwas wie einen nationalen Schub aus,
auch wenn bis dahin das Nationalverständnis in
ganz Europa noch nicht so weit ausgeprägt war.
Aber sicherlich enstand hier in Frankreich langsam so
etwas wie ein Nationalstaat, wenn die Entwicklung auch
erst einem zarten Pflänzchen glich. Plötzlich
war aller andersrum, Karl VII. bis dato in seine kleinen
Loire-Städtchen zurückgedrängt gewann
plötzlich die Initiative, auch die Gefangennahme
und Auslieferung Jeannes an die Engländer - die
sie bald hinrichteten - durch die Burgunder änderte
daran nichts. Vielleicht gab ihr Märtyrertod der
Königspartei sogar eher noch Auftrieb. Durch ein
Bündnis Karls VII. mit dem deutschen Kaiser noch
zusätzlich in die Zange genommen, war Philipp der
Gute 1435 zu einem Bruch der Allianz mit England bereit.
Aber wieder einmal hatte ein Burgunderherzog den Umschwung
noch rechtzeitig gespürt und zu seinem eigenen
Vorteil mitgemacht.
Und dieser Vorteil war beträchtlich, Burgund erhielt
Luxemburg, Holland, das Hennegau und einige kleine Gebiete
als Zugewinn und trat nun wirklich in seine Blütezeit
ein. Dem reichsten und vielleicht auch mächtigsten
Hof Europas stand nun ein Herzog vor. Der Glanz des
burgundischen Hofes spiegelt sich auch heute noch in
zahlreichen Gebäuden nieder, sicherlich auch im
eigentlichen Burgund, in dem mit Dijon ja die glanzvolle
Haupstadt lag, aber auch immer mehr in den bedeutenden
nördlichen Gebieten, die mittlerweile einen Großteil
des Landbesitzes und vor allem des Reichtums repräsentierten.
Die Engländer waren mittlerweile in Frankreich auf verlorenem Posten,
ohne den Verbündeten Burgund verloren sie eine Stellung nach der anderen.
Auch wenn der Krieg noch bis 1453 andauerte, war er doch schon jetzt
für England verloren. Bald schon hielten sie nur noch die Gascogne im
Südwesten, aus der sie dann 1453 endgültig vertrieben wurden. Ihnen blieb
nur noch die Stadt Calais, die sie allerdings noch über 100 Jahre halten konnten.
Burgund war nun endgültig auf dem Höhepunkt seiner Pracht und Macht
angelangt. Ein sichtbares Zeichen dafür war auch die von Philipp dem Guten
1429 gestiftete Ritterschaft vom Goldenen Vlies, bis heute einer der
elitärsten Clubs der Welt. Aber auch ein netter Trick, sich die Großen
seines Landes, die als Mitglieder des Ordens den Eid ablegten, dem
Großmeister - natürlich Philipp selbst - ewige Treue zu leisten, ganz
besonders zu verpflichten.
Die Rivalität mit dem französischen König war aber damit natürlich nicht
beendet, im Gegenteil, nach dem Friedensschluß wurde sie entsprechend dem
Machtzuwachs des Königs immer heftiger.
Dieser, frei vom Druck des Hundertjährigen Krieges, machte sich nämlich daran,
den Staat zu einen, worunter er natürlich verstand: unter seiner Herrschaft
zu einen. Der Sohn Karls VII, Ludwig XI - 1461 auf den Thron gekommen -
nahm dies bald in Angriff. Burgund war natürlich nicht sein einziges
Problem, es gab eine ganze Reihe von großen Dynastien an den
Spitzen von Lehnsfürstentümern, wenn auch keines den Rang Burgunds erreichte.
Zumal Burgund immer mehr ein eigenständiges Gebilde werden sollte,
waren doch auch einige seiner Besitztümer, bald sogar der größte
Teil gar nicht in Frankreich sonden im Deutschen Reich gelegen und
somit der französische König nur noch zu einem kleiner werdenen Teil
Lehnsherr der burgundischen Herzöge.
Während der König vor allem den kleineren Adel, die Städte und das
aufkeimende Bürgertum auf seiner Seite hatte, die sich von einem
geeinten Staat zu Recht Vorteile versprachen, bildeten die Großvasallen
eine "Liga für das Gemeinwohl" gegen die Bestrebungen der
Krone. War Selbstironie schon damals bekannt?
Auf jeden Fall erzielte Ludwig XI. 1465 erst einen Erfolg und schlug
Berry, Bourbon und Auvergne, mit Burgund lieferte er sich eine unentschiedene
Schlacht. Die Burgunder führte bei dieser Schlacht Karl der Kühne, der 1466
seinem Vater Philipp dem Guten nachfolgen sollte.
Trotzdem war Ludwig XI. gegen die großen Lehnsfürsten so weit in der
Defensive, daß er in einem Friedensvertrag die Normandie abtreten
mußte und die Rebellen amnestierte. Ein halbes Jahr später
konnte er zwar- nachdem es ihm gelungen war, seine Gegner zu entzweien -
die Normandie zurückgewinnen, aber damit war Burgund keineswegs
geschwächt. Allerdings war es ein Trick, der Karl den Kühnen
wieder in die Vorderhand brachte. Er lud den König in die Stadt
Péronne ein und ließ sie dann heimlich von einem burgundischen Heer
besetzen. Daraufhin zwang er dem König große Zugeständnisse ab, sowohl
territoriale als auch rechtliche.
Karl der Kühne war der schillerndste und vielleicht auch berühmteste der
großen Burgunderherzöge, vielleicht auch gerade aufgrund des
unglücklichen Verlaufes seiner Regierungszeit. Sicherlich spielte
nicht nur das Glück sondern auch seine Unfähigkeit eine Rolle,
aber, betrachtet man es mal umgekehrt, wann gab es in dieser
Epoche und überhaupt in der Geschichte schon einen wirklich fähigen
Herrscher und nicht nur einen nicht ganz unfähigen, der ein bißchen Glück hatte? "der Große" sollte in der Geschichte eigentlich meist besser
" der nicht ganz so Unfähige" heißen, aber das nur am Rande, schließlich
war Karl ja auch nur "der Kühne".
Der erste, recht hinterlistige, Erfolg von Péronne
sollte aber Karls letzter wesentlicher bleiben.
Ludwig XI. erwies sich diplomatisch weit überlegen
und die gewonnenen Erfahrungen und technischen Neuerungen
vor allem bei der Artillerie des französischen
Heeres während des langen Krieges taten ihr übriges.
1470 brach der Konflikt wieder offen aus und wurde zuerst
von vielen kleinen Geplänkeln und Schlachten geprägt,
die meist für den französischen König
den besseren Ausgang nahmen. 1475 begann eine Generaloffensive
der Franzosen gegen Burgund an dessen Ende das burgundische
Heer vollkommen geschlagen wurde.
Die Macht Burgunds war gebrochen, aber vielleicht hätte Karl der
Kühne noch einen Teil dieser Macht oder zumindest seiner Gebiete
retten können, wäre er klüger gewesen. Denn Ludwig XI. setzte nach
seinem großen Erfolg nicht militärisch nach, sondern nutzte diplomatisch
die Fehler Karls aus. Dieser, als hätte er nicht schon genug Probleme
und Kämpfe, besetzte nämlich 1475 das zum Deutschen Reich gehörende
Herzogtum Lothringen. Damit machte er sich nicht nur den Herzog
von Lothringen sondern auch den Deutschen Kaiser zum Feind, der
ihn bald - beeinflußt von Ludwig XI. - als Bedrohung betrachtete.
Zu guter Letzt traten auch noch die Schweizer Eidgenossen gegen Karl
in den Kampf, die territorialen Ausweitungen der Burgunder an
ihren Grenzen wollten sie nicht hinnehmen.
Sie besiegten die Burgunder mehrfach, 1477 fiel Karl der Kühne in der
Schlacht bei Nancy.
Damit war die Zeit der großen Burgunderherzöge vorbei, in Anbetracht ihrer
Stellung noch vor zwei Jahrzehnten sogar auf sehr schmähliche Weise.
Frankreich beanspruchte Burgund als heimgefallenes Mannslehen, der
Rest der ehemalig burgundischen Besitzungen ging nach einigen
Auseinandersetzungen an die erbberechtigten Habsburger. Auch die
zuerst von den Franzosen besetzte Franche-Comté wird an die
Habsburger zurückgegeben.
Die Franche-Comté bleibt noch über Jahrhunderte ein Zankapfel zwischen
den Franzosen, dem Deutschen Reich und auch den Spaniern, deren
habsburgische Herrscher sich immer wieder in Erbstreitigkeiten
einmischten. Das eigentliche Burgund, entsprechend der heutigen
französischen Region, hat keine eigene politische Geschichte mehr,
sondern ist nur noch eine von vielen Regionen in Frankreich.
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